Audioguide Weingarten

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notenWurzeln ausstrecken und
mitwachsen

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notenDas Leben als junge Frau
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notenDie Frauengemeinschaft
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notenMenschen treffen in Weingarten
– alle anders, alle gleich

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notenDas internationale Frauenfest
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notenDie Backfrauenrunde auf dem Abendteuerspielplatz
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notenNach dem Exil - zurück nach Weingarten
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Textfassung der Audiodateien

„Man hat seine Wurzeln ausgestreckt
und ist mit gewachsen“

Irene Läuger

… wurde 1943 in Freiburg geboren. Sie lebte erst in der Wiehre, später in Haslach und zog 1966 mit ihrer Familie nach Weingarten. Anfang der 70er Jahre begann sie sich mit anderen jungen Frauen zu treffen. Aus dieser Gruppe entstand später die katholische Frauengemeinschaft, die bis vor wenigen Jahren bestand. Im Interview erzählt sie über das Leben als junge Frau in den 70er Jahren und den vielen Gruppen und Räumen, in denen sie mit anderen Frauen zusammen aktiv war und ist.

Wir hatten zwei Kinder und in einem Zimmer sehr beengt gewohnt. Als wir dann die Nachricht bekamen, dass wir in Weingarten eine 3-Zimmer-Wohnung mit Küche, Bad und Flur bekommen könnten, da waren wir überglücklich. Im Laufe der Jahre kam noch ein drittes Kind dazu, aber Platz war trotzdem für alle. Das muss man sich überlegen: von einem in drei Zimmer – wir hatten das Gefühl, man wohnt in einem Palast!

Es war noch sehr wild hier, mit Bauschutthügeln, überall wurden Baugruben ausgehoben, wo frische Häuser gebaut werden sollten und die Straßen waren noch nicht geteert. Aber das wuchs alles im Laufe der Zeit: Die Kirche wurde gebaut, die Kinder wurden in der Adolf-Reichwein-Schule eingeweiht. Man hat einen Bezug zu Weingarten gekriegt – man hat seine Wurzeln ausgestreckt und ist mit gewachsen.

KircheUnd so fühlt man sich einfach zu Weingarten zugehörig. Da ist man heimisch geworden, da hat man die Kinder großgezogen, da hat sich alles abgespielt. Man muss sich das vorstellen wie in einem kleinen Dorf: Man kennt sich gegenseitig und man ist sich auch behilflich. Es waren im Verhältnis nur junge Familien, die hier her gezogen sind. Geld war auch nicht üppig, man war knapp dran. Da hat man sich gegenseitig die Kinder gehütet. Eine ist morgens mal drei Stunden schaffen gegangen, da hat die Nachbarin die Kinder gehabt und am Nachmittag ist sie gegangen und man hat ihre Kinder gehütet. Und so ist da ein Zugehörigkeitsverhältnis gewachsen.

Die St. Andreas-Kirche.
Hier in der Gemeinde hat sich für Irene Läuger vieles abgespielt.

Das Leben als junge Frau

Dann wurde die EBW gebaut und eine Kegelbahn eingerichtet. Da durften wir dann kegeln. Für uns Frauen gab's diese Freiheit sonst noch nicht. Man hat gearbeitet, man war zuhause und hat die Kinder großgezogen. Aber dass man auch an einem Mittag mal rausgeht aus dem häuslichen Umfeld und kegelt – das war was ganz Neues! Wir hatten alle kleine Kinder und der Kindergarten war damals erst ab drei Jahren. Da haben dann die Ministrantenmädchen in der Zeit unsere Kinder gehütet, sodass wir dann eine Stunde für uns Frauen hatten.

Kirche
Eine Stunde Freiheit – Kegeln in der EBW.

In der EBW haben auch viele Fasnachtsveranstaltungen stattgefunden. Die waren sehr beliebt. Denn man konnte sonst nicht groß fort, hier war es preislich erschwinglich und wir haben ja alle im Umkreis von der EBW gewohnt. Die Kinder wussten, wo wir sind oder man konnte kurz heim und gucken, ob alles in Ordnung ist.
Als die Kinder dann älter waren, gab's drüben das Jugendheim. Dann haben die Jugendlichen im Jugendheim gefeiert und die Eltern hier. Es gab auch den F&F-Ausschuss, den Fest und Feiern-Ausschuss. Das waren ein paar Ehepaare, die das bewirtschaftet haben. Die Familien sind alle bis heute miteinander befreundet. Wir gehen immer noch miteinander wandern oder fahren mal ein paar Tage zusammen weg. Da haben sich hier in Weingarten von Anfang an Freundschaften geknüpft, die bis heute nach 35 Jahren noch halten.

Die Frauengemeinschaft

Man hat sich auch eingebracht. Ich war dann nachher in der Frauengemeinschaft tätig. Da hat man Frauen unterstützt, die mehrere Kinder hatten. Wenn die Mutter krank geworden ist, hat man mal zwei Stunden was im Haushalt gemacht oder wenn man von Familien, die nicht so integriert waren wusste, da klemmt's, hat man einfach mitgeholfen. Die Frauengemeinschaft ist also auch daraus entstanden, dass die Frauen eine Zusammenkunft hatten. Viele waren religiös und das hat uns auch verbunden. Wir haben außerdem monatliche Zusammenkünfte mit Referenten organisiert. So hat man sich auch mal außerhäuslich getroffen. Denn die meisten von uns hatten viele Kinder, da hat man sich nicht in der Wohnung getroffen, hatte keine Zeit für nen Plausch zwischendurch. Da war das die Gelegenheit zu sagen: Heute Abend ist Frauenrunde und da hat man Zeit, sich auszutauschen.

Als Katholische Frauen Deutschlands gibt es die Frauengemeinschaft nicht mehr. Durch Todesfälle hat sich das ziemlich reduziert. Aber damit man sich nicht aus den Augen verliert, haben wir jetzt einen Stammtisch gegründet und uns Die fleißigen Hände genannt. Früher haben wir uns noch alle 14 Tage teilweise mit Referenten getroffen, die über medizinische Sachen wie Wechseljahre gesprochen haben und auch über religiöse Themen. Wenn Kirchweihfest war, haben wir Kuchen gebacken, der wurde dann verkauft und der Erlös ging an soziale Projekte. Das machen wir bis heute, aber wir backen nicht mehr alles selbst. Es gibt dann einen Aufruf Wer backt Kuchen? und da kommen immer Unmengen zusammen! Am Weihnachtsmarkt backen wir alle zusammen hier Linzertorte. Da kommen auch immer ganz viele Frauen. Wir sitzen dann hier alle um den Tisch rum, essen zusammen Mittag, jede macht ihre Handgriffe, die sie am besten kann und nebenbei wird geschnattert. Der Erlös kommt auch sozialen Zwecken zugute. Es gab z.B. eine Frau, die schwanger war und total mittellos. Sie wollte das Kind aber behalten. Und der haben wir dann ermöglicht, ein Kinderbett zu kaufen und so ein bisschen Erstausstattung, so dass sie etwas entspannter der Geburt entgegen schauen konnte.

Kirche
Die Frauengemeinschaft verkauft Kuchen.

Außerdem  haben wir das Wahlcafé, da sind wir ganz stolz! Die EBW ist ja Wahllokal geworden. Und da haben wir gleich gesagt: „Wir Frauen backen Kuchen und bieten den mit Kaffee an“. Wenn die Leute rein kamen und die Kuchentheke gesehen haben, waren Sie erst überrascht: „Oh! Was ist denn hier?“ Da haben wir gesagt: „Bei uns haben Sie zwei Mal die Wahl: erst zwischen den Parteien und dann zwischen den Kuchen.“

Alle anders, alle gleich

Hier sind alle gleich. Mit einem HartzIV-Empfänger geht man genauso kollegial um, wie mit dem Finanzbeamten. Da sagt man: „Setz dich her, lass es dir schmecken!“ Und wenn der Finanzbeamte dann bei uns am Tisch sitzt, zieht man sich nicht zurück und denkt: „Oh, was soll ich jetzt überhaupt sprechen, der war ja besser gestellt“ – nein, mit dem redet man genauso, wie mit jedem anderen auch.

Und da wir ja hier in Weingarten fast 100 Nationalitäten haben, kommen Sie mit allen möglichen Leuten zusammen, mit denen sie vielleicht sonst gar nicht zusammen kämen oder wo Leute sagen: „Oh Gott, der kommt aus Russland oder der kommt aus der Türkei, mit dem verkehr ich nicht.“ Diesen Dünkel finde ich hier nicht. Man kommt ins Haus, man begegnet sich, grüßt und manchmal kommt man auch näher ins Gespräch, durch Kinder oder beim Mittagessen.

Wenn man in die Spinnwebe rüber läuft, da sieht man immer Männer miteinander sitzen. Da sieht man nie eine Frau dabei stehen. Aber ich als deutsche Frau würde auch nicht hingehen und fragen: „Kann ich mit euch sprechen?“ Wir hatten aber auch Männergruppen, die hier jeden Mittag Karten gespielt haben. Die kamen aus Russland und haben sehr schlecht Deutsch gesprochen. Aber wenn wir mal am Tisch vorbei sind, haben wir vielleicht gefragt: „Na, wer gewinnt denn?“ Wir kamen nicht richtig ins Gespräch, aber man hat ein paar Worte ausgetauscht, man ist sich nicht aus dem Weg gegangen.

Das internationale Frauenfest

Am 8. März ist ja der internationale Frauentag und das wird auch hier jedes Jahr ganz groß gefeiert. Dieses Jahr gab es ein Mitbringbuffet. Da kamen die unterschiedlichsten Gerichte aufs Buffet, weil die Frauen aus unterschiedlichen Ländern kamen – aus Bolivien, Türkei, Slovenien usw. Es wurden  Lieder gesunden und kleine Beiträge gemacht, nur mit wenig Text, damit diejenigen, die der deutschen Sprache noch nicht so mächtig sind, sich nicht ausgeschlossen fühlen. Dann wurde ein Lied gesungen und ein Tanz dazu und alle durften mittanzen. Das war sehr ergreifend! Ich glaube, in ihrem eigenen Land haben viele nicht so viel Frieden und Harmonie, wie an dem Abend hier bei uns in der EBW – so viele Nationalitäten haben ohne Sprache miteinander friedlich gefeiert, getanzt und miteinander am Tisch gegessen. Ich glaube, dass viele Frauen das so empfunden haben. Da wird niemand ausgeschlossen oder schief angeguckt. Man feiert miteinander!

Kirche
Das internationale Frauenfest 2012

Der Abenteuerspielplatz und die Backfrauenrunde

Den ABI gibt’s ja jetzt auch bald 40 Jahre. Das ist ein Abenteuerspielplatz mit vielen Tieren – es gab einen Esel, ganz früher ein Schwein, Ziegen, Schafe, Hasen, Meerschweinle und Pferde. Jetzt gibt's auch eine Reitergruppe. Früher ging es nur darum, dass die Kinder mit den Tieren in Kontakt kamen und Verantwortung übernommen haben, z.B. den  Stall auszumisten. Es gab auch vielerlei Projekte wie eine Holzwerkstatt und eine Metallwerkstatt.
Einmal sollte eine Ferienfreizeit stattfinden und das Zelt war kaputt gegangen, da haben wir das stundenlang mit der Hand zusammen genäht, damit die Freizeit stattfinden konnte. Denn in den Urlaub fahren konnten wir damals noch nicht. Und das war ein tolles Erlebnis für Kinder.

Auf dem ABI gab es einen gemauerten Ofen mit Schamottsteinen. Da haben sich etliche Frauen zusammengetan, die ihre Kinder aufm ABI hatten, um ihr eigenes Brot zu backen. So ist vor etwa 30 Jahren die Backfrauenrunde entstanden.
Es war alles sehr primitiv. Es gab einen Bauwagen, da stand eine Mulde drin, wo wir unseren Teig gemacht haben. Jede Frau hat dann für sich ihr Brot gemacht. Wenn das Brot im Ofen war, haben wir gehäkelt, gestrickt und Muster ausgetauscht.

Die Gruppe hat sich schon verändert, aber sie besteht noch. Jede backt nach wie vor ihr eigenes Brot wie sie es haben möchte. Und während das Brot geht, trinken wir Kaffee und da finden dann auch die unterschiedlichsten Gespräche statt. Da ist immer ein anderes Thema, was man machen könnte.

Zweimal im Jahr ist Frühlings- und Herbstfest, an dem wir uns als Backfrauen beteiligen. Wir sagen immer: Wir machen ein ABI-Brot. Das ist ein selbstgemachter Teig, den wir unterschiedlich belegen. Das Geld geht an den ABI.

Zurück nach Weingarten

Kurzfristig haben wir mal woanders gewohnt. Mein Mann hatte sich selbständig gemacht und das Geschäft war nicht in Freiburg. Wenn wir hier zu Besuch waren und wieder gegangen sind, dann habe ich geweint. Wenn mein Mann hat gesagt: „Jetzt gehen wir nach Hause!“ habe ich geantwortet: „Ich BIN hier zuhause.“ Weingarten war immer mein Zuhause und wird es auch immer bleiben. Und als mein Mann dann gestorben ist und ich mir eine Wohnung gesucht hab, haben die Leute gesagt: „Aber du ziehst nicht wieder zurück!“ Da sag ich: „Doch! Da sind meine Wurzeln, da sind meine ganzen Freundschaften, da habe ich mitgeholfen aufzubauen, das ist mein Zuhause, da gehöre ich hin und sonst gar nirgends.“

Das Interview führte Anna Trautwein am 22.03.12

 

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