Audioguide Weingarten

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Leben in Weingarten

notenAnkunft
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notenKönnen wir nicht mal hier weg?
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notenMan fühlt sich hier nicht anders
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notenAch, du aus Weingarten!
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Aufwachsen in Weingarten

notenSehen wie es bei denen läuft
– internationale Freundschaften

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notenWir haben uns viel in Garagen aufgehalten
– als Jugendliche

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Ich bin froh, dass es so gekommen
ist – eine junge Mutter

notenIch war Ende 15 als ich meine Tochter bekam
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notenMütter und Kinder
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notenVäter und Kinder
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notenIch weiß nicht, ob es schwieriger ist
– allein erziehend

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notenSie ist ein Kind, das mir Kraft gibt
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Textfassung der Audiodateien

„Man fühlt sich in Weingarten nicht anders“

Swieta Michael

… wurde 1986 in Freiburg geboren und hat ihr ganzes bisheriges Leben in Weingarten verbracht. Sie arbeitet als Bürokauffrau.
Im Interview erzählt sie davon, wie es war, als Kind und Jugendliche in Weingarten aufzuwachsen, jung Mutter zu werden und warum ihre Eltern und sie selbst einfach nicht aus Weingarten weg kommen.

Vor 28 Jahren sind meine Eltern aus Eritrea nach Deutschland gekommen. Erst waren sie in Karlsruhe im Asylheim. Meiner Mutter, die damals alleine mit meiner Schwester gekommen war,  hat es dort überhaupt nicht gefallen. Sie ist mal nach Italien, mal nach Frankreich und hat dann entschieden, in Deutschland zu bleiben. Sie hätte auch die Möglichkeit gehabt, nach Amerika zu gehen – wollte sie aber auch nicht.

Nach ein paar Jahren ist mein Vater nach gekommen. Da haben sie dann in Freiburg gelebt, zuerst zu Dritt in einer kleinen Wohnung an der Paduarallee. Von da aus sind sie nach Weingarten gezogen. Es sind dann noch andere Freunde hinterher gezogen und so sind sie bis heute hier geblieben und wollten nie weg.

Hier fühlt man sich nicht anders

Wir als Jugendliche haben schon viele Sprüche über Weingarten gehört: „Das Ghetto“, „Oh Gott, ihr wohnt in Weingarten...“. Und da habe ich mich irgendwie anstecken lassen und gesagt: „Können wir nicht mal hier weg?“ Auch vor kurzem, als meine Eltern sich eine Wohnung in Weingarten gekauft haben, meinte ich: „Muss das jetzt sein, hier in Weingarten?“ Man wird angesteckt. Irgendwann hat mich meine Mutter zur Seite gepackt und gesagt: „Du, wir sind alt genug! Und wir wollen hier bleiben! Wir fühlen uns hier wohl, wir kennen hier alle, uns geht’s hier gut, wir bleiben  hier.“ Da habe ich mir schon Gedanken gemacht, was mir als Tochter eigentlich einfällt, meinen Eltern Vorschriften zu machen. Und ich selber komm ja hier auch nicht weg, ich hätte ja auch die Möglichkeit gehabt, woanders hinzuziehen.

Ich glaube, der Grund, warum sich meine Eltern hier so wohl fühlen, sind die verschiedenen Nationalitäten. Es sind viele Araber, Türken, Italiener, Russen... Irgendwo hat man doch eine Verbindung. Ich sehe gerne, wenn meine Mutter sich mit den arabischen Frauen unterhält, denn sie spricht auch Arabisch. Man fühlt sich hier in Weingarten einfach nicht anders. Meine Schwester hat mal gesagt: „Stell dir mal vor, unsere Eltern hätten sich irgendwo im Umland eine Wohnung gekauft! Was meinst du, wie man die von oben bis unten anschauen würde!“ Vielleicht liegt es  daran, dass ich hier groß geworden bin, aber selbst Leute die hier rein ziehen, sagen: Sie fühlen sich wohl, weil sie hier nicht anders sind.

Meine Eltern fühlen sich hier so vertraut, wie in Eritrea, wenn sie Urlaub machen und Familie besuchen gehen. Letztens ist meine Mutter aus dem Haus gegangen. Es hat geschüttet ohne Ende und wir hatten beide einen Schirm. Da kam ein Nachbar raus und sie hat ihm einfach den Schirm in die Hand gedrückt: „Ach, ich hab noch einen! Ich geh mit meiner Tochter!“ So was zeigt mir, dass sie hier zuhause sind, so wie ich auch. Ich bin hier zuhause!

Als mein Freund und ich zusammen gezogen sind, musste ich ihn überreden, nach Weingarten zu ziehen. Er kommt aus der Ober-Wiehre und hätte alles drum gegeben, dass wir dort hinziehen. Aber ich habe zu ihm gesagt: „Da sind ja nur Straßen! Da ist diese große Straße, der Tunnel, da gibt’s ja gar nichts!“

Ich selbst habe nie ernsthaft damit Probleme gehabt zu sagen, dass ich in Weingarten lebe. Auch als ich mich beworben habe, dachte ich nie, dass das schlecht sein könnte. Aber vielleicht habe ich mich nicht so in den Kreisen bewegt, wo mir das zum Verhängnis hätte werden können.
Denn ich weiß von meinen Geschwistern, die alle drei auf dem Rotteck-Gymnasium waren, dass sie sehr viele Probleme hatten und teilweise sehr gemobbt worden sind. Meine älteste Schwester und mein jüngerer Bruder haben es trotzdem durchgezogen, aber meine kleinere Schwester hat damit sehr viele Probleme gehabt: Ach du aus Weingarten! Auch wegen ihrer Hautfarbe wurde sie beschimpft. Obwohl sie sonst eigentlich eine große Klappe hat, hat sie das sehr verletzt. Das war für mich die Hölle, das zu sehen.

Zusammen groß werden

Meine Geschwister und ich sind hier in Weingarten erst in den Kindergarten gegangen, dann auf die Adolf-Reichwein-Schule. Man kennt sich also von klein auf, bis heute noch! Die meisten meiner Freunde, die ich damals hatte und die ich jetzt noch habe, waren eigentlich aus Weingarten und sind immer noch da! Jetzt spielen unsere Kinder auch zusammen. Das ist toll – wir haben als Kinder zusammen gespielt, sind durch die Häuser gezogen, hatten so unsere Plätzchen, wo wir Sachen gemacht haben, die wir vielleicht nicht hätten machen sollen und jetzt spielen unsere Kinder zusammen.

Ich hatte als Kind eine sehr gute Freundin aus der Türkei, die jetzt dorthin zurück gezogen ist. Ich fand es schön, auch mal zu sehen, wie es bei denen läuft, was die für Rituale haben. Die sind auch gern zu uns gekommen. Das war auch klasse, denn bei uns röstet man den Kaffee selbst. Das ist eine richtige Zeremonie, die manchmal bis zu zwei Stunden dauert und das fanden die echt toll. Sie haben den Geruch geliebt vom Kaffee! So ging es mir dann auch, wenn ich zu meiner türkischen Freundin gegangen bin und wir dort zusammen gegessen haben.

Unter uns haben zwei Schwestern aus Polen gewohnt, mit denen ich befreundet war. Da fand ich den Käsesalat immer so toll! An Weihnachten und an Ostern haben Karussel Hochhausdie immer ganz viele Salate gemacht. Da habe ich gerne zugeguckt, wie der gemacht wurde, habe mir das Rezept aufgeschrieben und habe es dann bei uns zuhause an Weihnachten auch mal gemacht. Der war so lecker, den könnte ich heute noch essen!

Neben den zwei Schwestern hat eine marokkanische Familie gewohnt. Die waren auch zu viert, auch drei Mädels und ein Junge. Wir Kinder im Haus sind zusammen groß geworden und wir waren irgendwie immer zusammen. Auch die Eltern haben uns aufgenommen wie ihre eigenen Kinder. Da ist man rein, raus, hat da gegessen, getrunken – es war einfach schön und familiär.

Karussel fahren in der Krozinger Straße

Als Jugendliche in Weingarten

Wir haben uns viel in Garagen aufgehalten! Warum auch immer, damit uns niemand sieht! Im Park, an diesem Holz-Labyrinth saßen wir ganz gern. Und wir sind oft die Opfinger Brücke hoch und runter gelaufen, einfach spazieren gegangen.
Es gibt Ecken in Weingarten, die vielleicht nicht so gut sind. Ich habe z.B. früh mit dem Rauchen angefangen, was ich bis heute noch bereue. Aber es war halt cool! Es gab die Coolen, und dann hat man sich im Park getroffen und heimlich geraucht oder im EKZ in der Garage oben. Das war jetzt nicht so schlimm, aber ich glaube, man kann ganz schön abrutschen, wenn man nicht aufpasst. Es gibt mal so ne Phase, da macht man halt alles durch, aber manche Leute sind dann drauf hängen geblieben. Wenn man sieht, wie die abgerutscht sind und wo sie jetzt sind, wenn sie überhaupt noch da sind, das ist schon traurig. Aber das liegt nicht nur an Weingarten, das gibt’s überall.

Ich war Ende 15, als ich meine Tochter bekommen habe

Als ich schwanger war, anfangs hat man es nicht gesehen und je größer der Bauch wurde, desto mehr haben dann die Leute geguckt. Irgendwann kam dann die Frage von einer Nachbarin: „Bist du schwanger?“ Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Denn ich war wirklich sehr jung, ich war Ende 15, als ich meine Tochter bekommen habe. Und dann hab ich gesagt: „Ja“. Sie war ganz locker: „OK, gut. Schön!“ Ich wusste gar nicht, ob ich ihr das abkaufen soll. Meint sie das jetzt ernst? Aber es war eine Frau, die ich gern gehabt habe. Sie durfte mich das fragen und ich war froh, dass sie die erste war, die mich drauf angesprochen hat. Denn danach war mir klar, dass man es jetzt sieht und ich konnte mir Gedanken machen, wie ich damit umgehe. Aber zu mir direkt haben die Leute dann nie was gesagt. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass meine Eltern gefragt worden sind: „Wie sieht's aus? Was macht sie denn danach?“ Die haben dann gesagt: „Klar, die geht weiter ihren Weg! Die wird das schon machen!“ Hier in Weingarten war es weniger ein Problem. Später in der Schule habe ich eher diese Blicke gespürt: Das Mädchen aus Weingarten, oh je, hochschwanger, das kriegt's ja jetzt mal gar nicht auf die Reihe... Das konnte man aus den Augen raus lesen. Komischerweise besonders bei denen, die in meinem Alter waren.

Ich war auf der Staudinger Schule, hab mich da eigentlich wohl gefühlt. Von den Lehrern haben es gar nicht viele gewusst und man hat's da auch nicht wirklich gesehen. Erst später auf dem Walter-Eugen, wo ich dann die 2-jährige Wirtschaftsschule gemacht habe, war ich dann hochschwanger. Die Lehrer haben mich eigentlich noch gefördert und gepuscht. Denn ich habe gleich gesagt, dass ich die Schule weiter mache so lang es geht und zwei Wochen nach der Geburt war ich wieder da, damit ich nicht zu viel verpasse. Ich habe viel Unterstützung von meiner Familie bekommen, auch von meinen Geschwistern, die selber noch Kinder waren. Mein Bruder war damals erst neun.

Meine Eltern mussten mehr einstecken, vielleicht war es auch anstrengender, mich in Schutz zu nehmen. Wobei die meisten gesagt haben: „Schön! Jetzt kriegt ihr ein Enkelkind!“ Ich glaube schon, dass es hier üblicher ist, Kinder zu kriegen. Vielleicht nicht in so jungen Jahren, aber man freut sich über die Kinder!

Als meine Tochter auf der Welt war, hatte ich gar keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen, was die Leute denken. Ich wollte nur, dass sie normal aufwächst, dass sie keinen Unterschied merkt. Jetzt ist sie sogar stolz, dass ihre Mutter erst 26 ist. Ich bin froh, dass es so gekommen ist.

Tochter
Swietas Tochter heute

Es ist schön für Kinder hier aufzuwachsen

In meiner Kindheit wurde ich nie weggeschickt beim Spielen. Wir haben gespielt ohne Ende, egal wo – auf dem Spielplatz direkt in der Krozinger Straße, auf dem Parkdeck und auf dem Fußballfeld hinter der Krozinger 78. Am Drachenberg waren wir ganz oft. Als wir noch jünger waren, ist meine Mutter mit ihren Freundinnen und mit deren Kindern noch mitgegangen. Die haben es sich schön gemütlich gemacht und wir haben gespielt. Ich habe noch nie eine Mutter gesehen, die irgendwo alleine saß. Meistens kommen die Mütter nicht alleine und sonst lernt man sich über die Kinder kennen. Wenn die miteinander spielen oder besonders wenn sie sich streiten: „Oh je, mein Kind, das tut mir leid...“. So kommt man dann ins Gespräch. Es gibt auch ein paar Väter, die mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen. Aber viele habe ich bisher nicht gesehen. Wenn, dann kommen sie schön mit der Frau zusammen. Mein Schwager ist eigentlich einer, der das ganz gerne macht.

Ich finde es schön für Kinder hier aufzuwachsen. Du hast die Spielplätze und du hast die Nachbarn, die aufpassen. Wenn mein Kind fällt, kann ich mich darauf verlassen, dass sofort jemand kommt und mir Bescheid gibt.

Übergabe an der Haltestelle

Als meine Tochter geboren wurde, war ich im ersten Jahr von der Wirtschaftsschule. Sie kam im Januar zur Welt. Wenn ich in der Schule war, war immer entweder mein Vater oder meine Mutter zuhause. Meine Eltern haben ihren ganzen Dienstplan um geschmissen, sodass sie sich abwechseln konnten. Dann wurde die Kleine in den Wagen gesetzt und teilweise an der Straßenbahnhaltestelle an den Nächsten übergeben. Jetzt muss man drüber lachen, aber es war schon sehr anstrengend. Ich habe nebenher noch beim Bäcker gejobbt, weil ich meine Eltern auch finanziell unterstützen wollte. Nach meinem Abschluss habe ich eine Ausbildung in Teilzeit als Bürokauffrau gemacht. Jeden Morgen bin ich aufgestanden, habe meine Tochter in die Kita gebracht und bin von da direkt in die Schule. Als ich meinen Abschluss in der Tasche hatte, habe ich mich beworben und sehr schnell einen Job gefunden. Da bin ich jetzt seit drei Jahren, arbeite fünf Stunden am Tag und das ist genial so!

Ich bin zwar allein erziehend, aber irgendwie bin ich's auch doch nicht. Denn meine Familie hat mich von Anfang an unterstützt. Deswegen weiß ich nicht, ob es schwerer ist. Mein Freund, mit dem ich seit 10 Jahren zusammen bin, versucht auch ab und an mal mitzumischen. Bis zu einen gewissen Grad lass ich ihn auch, aber im Endeffekt bin ich schon allein erziehend.

Manchmal habe ich schon diese Blicke gespürt, die zu sagen schienen: „Oh ist die jung! Ist das jetzt die Schwester? Die Nichte?“  Niemals wären sie darauf gekommen, dass sie meine Tochter ist. Wenn sie dann mal Mama gesagt hat, wurden die Augen aufgerissen. Ehrlich gesagt hat mich das stolz gemacht, weil sie was Besonderes ist. Man sagt das immer über die eigene Tochter, aber sie ist ziemlich stark, eine super Persönlichkeit. Sie ist ein Kind, dass mir Kraft gibt. Und für sie hab ich das ganze Programm auch durchgezogen.

Das Interview führte Anna Trautwein am 17.07.12

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