Audioguide Weingarten

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Weingarten Anfang der
60er Jahre

notenDer Weg nach Weingarten
und 70er-Jahre-Träum

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notenMittendrin und der Blick des Laboranten
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notenTry and Error, gute Nachbarschaft
und der Unterschied zur Zechensiedlung

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notenNachdenken über das Verhältnis von Architektur und Zusammenleben
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notenPerspektiven von oben
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und was man von dort sieht:

notenDas 50+ Bewegungsprojekt
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notenDie Adolf-Reichwein-Schule
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notenDie Evangelische Hochschule
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notenDer Auggener Weg
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Textfassung der Audiodateien

„Ich lebe hier wie im Leuchtturm
– unter mir ein Meer von Scheiße brandet gegen's Haus, aber bis in den 16. Stock schwappt sie nicht hoch.“

Frank Zamboni

... wurde am 28. Juni 1957 in Villingen im Schwarzwald geboren. Er arbeitet als Architekt und lebt seit 2005 in Weingarten. Frank Zamboni ist Mitglied im Architekturforum, im Kunstverein und bei den Breisgau-Twirlers (amerikanischer Quadrattanz). Im Interview denkt er über die Zusammenhänge zwischen Architektur, Zeitgeschichte und Zusammenleben nach und darüber, was die Voraussetzungen für wirkliche Nachbarschaft sein könnten.

Mein Name ist ja Zamboni und der letzte Italiener in unserer Reihe war der Giovani Zamboni 1854. Der war aus der Nähe von Trento und ist dann über die Alpen gezogen, wahrscheinlich als Maurer. Ich selbst beherrsche die italienische Sprache nicht, bin aber ein großer Italien-Fan und Reisender. Und als ich jetzt unlängst mal wieder in den Uffizien war, da ist mir aufgefallen, dass die Künstler da oft einen Namen hatten und dann ein „genannt“, also „detto“, z.B. Michelangelo Merisi detto il Caravaggio, „genannt der Mann aus Caravaggio“ oder „detto il Tintoretto“, „genannt das Färberchen“. Und da hab ich mir gedacht: so was leg ich mir auch zu. Und ich bin halt „detto il Vignaiolo“, der Mann aus Weingarten“ oder „Der Weingärtner“.

Ich stamme aus Villingen, das ist eine kleine Stadt. Dann hab ich fast 20 Jahre in Berlin gelebt und dann neun Jahre auf dem Land zwischen Kassel und Marburg und da ist mein Lebenskahn ein bisschen auf Grund gelaufen. Ich lebte zum Schluss allein dort und dann habe ich gedacht: da geht’s jetzt wieder weg. Ich habe mich für Freiburg entschieden, weil mein alemannischer Akzent hier akzeptiert ist und nicht zur Frage führt: Wo kommst denn du her? Außerdem ist es nicht so weit zu meiner alten Mutter. Alle Klischees, die es über Freiburg gibt – alles ist so grün, die Innenstadt so schön und das schöne Münster – das interessiert mich alles nicht die Bohne. Ich finde Freiburg OK, aber auch nicht so toll.

Ich bin hier in Weingarten gelandet, weil man hier halbwegs günstige Wohnungen kriegt, aber auch weil es eben aus den 70er Jahren stammt. Ich bin 1957 geboren und in den 70ern sozialisiert, also mit den beiden Rudis: Rudi Dutschke und Rudi Carrell. Und damals war das ein Fortschritt so zu wohnen. Das wissen die Leute heute nicht mehr. Ich bin in einem Bahnwärterhäusle aufgewachsen, wunderbar idyllisch, aber als sie uns die Badewanne eingebaut haben, war ich auch schon 11. Vorher haben wir uns am Samstag in einer Zinkwanne gewaschen.

Frank Zamboni fast noch in den 70ern
Frank Zamboni fast noch in den 70ern

Die Leute, die 1970 hier her gezogen sind, das waren eben nicht die Marginalisierten, sondern die sind sozusagen in die Welt hineingekommen aus ihren Hinterhoflöchern – Licht, Luft und Sonne! Das waren auch noch die letzten Züge der Ideen der Charta von Athen, also der Trennung zwischen Arbeiten, Wohnen und Freizeit. Die waren da zwar schon angeschlagen, aber man hat sie dort in dieser Art zu bauen noch verwirklicht. Heute sieht man das alles wieder ganz anders, aber für mich ist es OK hier, zumal ich jetzt eben die Welt von oben sehen kann. Ich lebe ich hier wie im Leuchtturm – unter mir ein Meer von Scheiße brandet gegen's Haus, aber bis in den 16. Stock schwappt sie nicht hoch.

Mittendrin und der Blick des Laboranten

Weil ich mich mit Architektur und Städtebau beschäftigt habe, habe ich einen etwas deformierten Blick. Und vielleicht, weil ich viel gereist bin, suche ich immer den öffentlichen Raum. In New York z.B. gibt’s keinen öffentlichen Raum. Das merkt man daran, dass es keine Bettler gibt, denn die sind immer im öffentlichen Raum. Ich bin kein Bettler, aber auch nicht besonders wohlhabend, deshalb begebe ich mich auch gern in den öffentlichen Raum. Das sind hier so ein paar Bänkchen am See. Und dann überlege ich mir: wer sitzt jetzt neben mir? Aber ich bin ja selber so einer, der auf der Bank sitzt. Und auch wenn ich zum Einkaufen gehe und mit der Frau an der Kasse ein Spässchen mach, bin ich genau so wie die alte Frau vor mir, von der ich annehme, dass das Wort von der Kassiererin das einzige freundliche Wort ist, das sie am Tag bekommt. Dann denke ich: Was ist denn das für ein Leben? Und gleichzeitig kaufe ich auch oft einen Joghurt und ein Glas Marmelade zwei Mal, weil ich dann zwei Mal unter die Leute komme und zwei Mal mit ihr 'n Spässle machen kann. Ich denk eben drüber nach, aber ich bin auch Teil von dem Ganzen.

Try and Error und der Unterschied zur Zechensiedlung

Ich weiß nicht, warum die Leute nicht hier wohnen wollen. Hochhäuser sind verpönt, weiß ich auch nicht warum. Was daran so toll sein soll, in der Wiehre für teuer Geld in nen Hof reinzugucken, ein paar blöde Schnepfen neben dran, die den ganzen Tag Klavier spielen oder dein eigenes Klavier spielen nicht ertragen, weiß ich nicht.
Für mich hat das Retortenhafte einen besonderen Reiz. Ich finde es schön, wenn man dem Umfeld seine Künstlichkeit ansieht. Das erinnert mich immer daran, dass das alles ein großer Versuch ist und der kann eben gelingen oder scheitern. Die gotischen Kathedralen sind ja auch nach dem Try and Error-Prinzip gebaut worden, wenn die Bögen gehalten haben war es gut, wenn sie eingestürzt sind, nicht. Aber Freiburg als alte Stadt vermittelt erst mal den Eindruck als wäre sie schon immer da gewesen, obwohl die Stadt ja völlig kaputt war und im alten Stil wieder aufgebaut worden ist. Und hier hat man halt auf der grünen Wiese irgendwas gemacht. Und wenn man sich umguckt: Das Grün und die vielen Bäume, das ist sehr schön. Das wird aber konterkariert durch die vielen Müllsäcke. Die liegen überall herum, sodass man sich fragt: wer wohnt denn hier? Sind wir hier in Neapel oder was? Und warum das so ist, das hab ich noch nicht rausgefinden.

Meine Vorstellung von Nachbarschaft ist z.B. eine Zechensiedlung. Das war eine ganz homogene Struktur. Die Männer haben alle unter Tage gearbeitet, waren alle katholisch, haben alle gesungen, haben alle gern gesoffen, haben alle 3-4 Kinder gehabt, viele haben gerne Tauben gezüchtet. Die Frauen haben den Männern, wenn es möglich war, am Freitag das Geld abgenommen, damit sie nicht alles versaufen. Die Mädchen sind früh verheiratet worden, die Jungs sind auch auf n Pütt gegangen. Sie waren arm, hatten aber gleiche Interessen. Und daraus entsteht Nachbarschaft, dass man sich gegenseitig hilft. Alle brauchen ja das gleiche. Und ein wichtiges Bindeglied war die Arbeit. Und dort: schwere und gefährliche Arbeit.
Während hier: ein Teil ist arbeitslos, ein Teil hat nen 400 Euro Job und manche haben auch normale Jobs, so am unteren Ende der Mittelschicht. Aber im großen und ganzen wurschtelt doch jeder vor sich hin.

Blumenwiese mit Buggi
Blick auf die Bugginger Str. 50 – 16 Stockwerke Diversität

Was dann wieder eine Gruppe ist, die sich zusammenfindet sind die alten Leute. Für die gibt es viele Angebote. Wir sind ja hier umstellt. Jedes mal, wenn ich hier die Fachhochschule sehe und die jungen Leute, die da studieren und danach alle Arbeit brauchen, denk ich: Hoffentlich dreht hin und wieder mal einer n Ding, damit's mal wieder ne Stelle gibt! Wenn alle so wie ich in den Tag rein leben, gibt’s ja keinen Brennpunkt, keine Gewalt... Da müssen sie sich wieder was ausdenken.
Es sind ja immer die sozialen Institutionen, die die Nachbarschaft suchen, aber da ist der Wurm schon drin. Denn historisch gesehen, gab es immer nur Fortschritt, wenn die Betroffenen selber gesagt haben: So jetzt ist Schluss! 16 Stunden in der Grube, da haben sie gesagt: Nee, das machen wir nicht mehr, haben gestreikt, haben ne Gewerkschaft gegründet und das waren alles großartige Projekte und dann haben sie das ja auch hingekriegt. Heute rennt jemand rum, der aus irgendeinem staatlichen Topf bezahlt wird und fragt, ob die Leute nicht mal ne Protestkundgebung machen wollen.“Ich wüsste da nen guten Platz und kann euch zuhause abholen...“. So ungefähr.

Die Leute haben schon Eigeninitiative. Aber es ist eben nicht so, dass alle Leute hier ein ähnliches Leben haben. Jeder guckt irgendwie für sich und das ist nicht unbedingt schlecht. Es gibt niemanden, der sagt: Ich bin aus Weingarten und ich bin stolz und die anderen sind meine Brüder, so wie man das als Klischee aus den amerikanischen Gangsterfilmen kennt. Da vorne steht zwar Welcome to my Barrio, aber das sind mediale Projektionen.

Vor einem Bild von George Shaw
Vor einem Bild von George Shaw

Als das Nachbarschafsheim 40 Jahre alt geworden ist, haben sie ne dicke Party gemacht und damit geworben, dass es ne Sau am Spieß gibt. Die Sintifrauen haben Kuchen gebacken und hatten auch ihr Ständle, aber die, die den Spieß gedreht haben, das waren alles bezahlte Sozialarbeiter. Zum Sau braten brauch ich aber keinen Sozialarbeiter. Wenn ich Analphabet bin und muss aufs Amt, dann freu ich mich, wenn mir jemand hilft. Aber da – muss er sich dann auch noch stellvertretend für mich den Rausch antrinken?

Die Nachbarn im Auggener Weg

Ich wohne direkt neben dem Auggener Weg und nehme diese Siedlung immer als Farbtupfer wahr. Touristisch könnt man sie vielleicht  noch ein bisschen ausbauen, so wie Little Italy in New York –  war ja auch ne Ganoven-Gegend und heute ist es ein touristischer Anziehungspunkt. Architekten sagen immer, sie gehen auf die Bedürfnisse der Leute ein, aber in der Regel denken sie sich erst die Bedürfnisse aus, sagen, der Mensch braucht Licht, Luft und Sonne, stellen ihm ein Aquarium hin und dann hocken die Leute da drin und schwitzen sich zu Tode, aber die Architekten sind dann schon wieder weiter gezogen.
Hier macht das jetzt von außen gesehen einen ganz guten Eindrucke, weil genügend Platz für große Autos,  Wagen und Schrotthändler da ist. Die haben jetzt mal Glück gehabt und werden mal nicht so angeschissen wie z.B. die 300 Roma, die abgeschoben werden sollen. Das gefällt mir. Auf der andern Seite: die Hälfte der Freiburger Sintis ist ermordet worden. Da ist es ja nur gut und recht, dass man sich da mal ein bisschen menschlich zeigt.
Wenn ich sage, ich wohne in Weingarten in der Bugginger Str. und nebenan ist der Auggener Weg, da wohnen die Sinti, dann verdrehen manchmal die Leute die Augen und sagen: „Uhhh, die Zigeuner...“ Dann sag ich: Naja, die waren ja schließlich eher da. Die sind jetzt seit 150 Jahren da, allerdings ein bisschen weiter draußen, da im Rieselfeld. Aber jedenfalls haben sie eigentlich die älteren Rechte und es ist gut, die als Nachbarn zu haben und es freut mich auch, dass die uns dulden. Die könnten ja auch sagen: „Verpisst euch, wir möchten mit euch nichts zu tun haben!“ Aber ganz im Gegenteil, hab ich noch nie was gehört in die Richtung.

Der Blick von oben

Also erst mal ist es ganz praktisch: Man sieht das Dach als fünfte Fassade. Dann ist der Maßstab anders, d.h. Die Menschen sind kleiner und man sieht in gewisser Weise das Ganze.  Man sieht z.B., dass man fast im Dschungel wohnt im Sommer, weil alles so grün ist und wenn man unten geht, sieht man nur die Bäume und die Hundescheiße. Und man ist eben auch ein bisschen bei den Wolken.

von oben
Die Grundriss-Perspektive

Es zwingt mich ja keiner, dass ich da runter muss. Wenn sich da unten jetzt welche in die Fresse hauen, ist man in Sicherheit. Man kann eigentlich das angucken, was man will hier oben.
Ich habe einen Kompass und manchmal guck ich nach Fessenheim. Je nach dem könnt man kotzen: wenn das Ding in die Luft geht, biste gleich weg, aber man kann auch sagen: wird schon noch ne Weile halten, jetzt ist ja was in Fukushima passiert, da haben wir ja rechnerisch wieder ein bisschen Glück. Oder ich sehe die schöne Kapelle am Tuniberg. Mit dem Licht ist es immer anders: am Morgen steht die Sonne im Osten, dann steht sie wie ein Strahler über den Vogesen und leuchtet ins Münstertal rein. Das ist eigentlich immer der erste Blick morgens: Vogesen ja oder nein.Und manchmal fühlt man sich auch wie im Flugzeug – wenn man gar nichts sieht, ist man in der Wolke drin. Und allein das zeigt einem schon, dass man nicht einfach da ist, sondern ein kleiner Mosaikstein in einem großen Kosmos, der aber nicht fest ist, sondern sich immer verändert. Und dass man die Welt immer so sehen kann, wie man sie sehen will.

Architektur und Zusammenleben

Ich wohne im Passivhochhaus und wenn ich das Freunden von Auswärts erzähle, denken die, ich wohnte in einem Nobelviertel. Die Freiburger nehmen das noch nicht so wahr. Und das ist eigentlich die Kernfrage der Architektur:Was für ein Zusammenleben bringt eine bestimmte Architektur hervor? Blick grünoder umgekehrt. Und da bin ich mir nicht so sicher. Weil wenn man eine Stadt baut, um einen bestimmten Lebensstil zu erzeugen, das geht in der Regel immer schief, da ist Weingarten ein Beispiel dafür. Denn es sollte ja ein Paradies sein, ist es aber nicht geworden. Umgekehrt galten die Berliner Mietskasernen vor 100 Jahren als der Inbegriff des Bösen und ab den 70er Jahren wollte jeder da wohnen.
Ich beschäftige mich ständig damit, aber ich komme zu keinem Ergebnis. Der weite Blick: das ist für mich Lebensqualität. Aber das ist nicht der Grund, warum das hier so gebaut wurde. Das ist nur ein Abfallprodukt, das ich mir raus gefischt habe.

Frank Zambonis Blick ins Grüne

 

Das Interview führte Anna Trautwein am 26.04.12

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