Textfassung der Audiodateien
„Hier bin ich nie der einzige Schwarze. Ich bin ein Teil von diesem Ganzen hier in Weingarten“
Sonny Ezeala
… wurde in Nigeria geboren und kam 1989 nach Deutschland. Vor 15 Jahren zog er von einem kleinen Dorf nach Weingarten. Im Interview erzählt er, was ihn veranlasste Nigeria zu verlassen, wie das Exil den Blick auf das Geburtsland verändert und worin sich Weingarten und Buchheim für ihn unterscheiden.
Ich gehöre zu den Träumertypen, die gern was anderes sehen wollen, gerade als Jugendlicher, mit 25 war das so. Ich wollte einfach die Welt sehen, wollte aus Nigeria, aus Afrika weg. Nach Europa, Amerika.... egal – einfach weit weg von zuhause. So bin ich nach Deutschland gekommen.
Das war 1989 kurz vor dem Mauerfall. Ich habe noch ein bisschen mitbekommen, als das Ganze los ging. Damals verstand ich kein Wort Deutsch, aber man hat schon einiges gesehen im Fernsehen und so. Wie die Leute sich gefreut haben, in den Arm genommen haben... gespürt hat man das überall, ob man Deutsch versteht oder nicht. Es war ein schönes Bild damals, ich habe das bis heute noch im Kopf.
Ich bin mit dem Flugzeug am Frankfurter Flughafen gelandet. Ich kam aus dem Flughafen raus und stieg ins erste Taxi. Ich wollte nach Mannheim. Mit dem Geld, das ich in der Tasche hatte, hätte ich eigentlich mit dem Zug fahren müssen. Aber ich komm raus, sehe das Taxi, steig ein wie der König von Nigeria und sage, wo ich hin will. Ohne an den Preis zu denken. Das war schon lustig, als ich ankam und der Taxifahrer mir gesagt hat, was ich zahlen muss. Ich konnte es nicht glauben und habe ihn mit großen Augen angeguckt. Die 200 Dollar, die ich hatte, bin ich gleich an ihn losgeworden.
In Nigeria herrschte damals eine Militärdiktatur nach der anderen. Es gab keine Demokratie. Alle zwei, drei Jahre gab es einen Putsch und wieder ein neuer Diktator kam an die Macht. Es gab keine Zukunft für die Jugendlichen, zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Wer nicht mitmachte, wurde umgebracht. So war das damals in Nigeria.
Als Kind habe ich viele Soldaten gesehen und irgendwann wollte ich auch zum Militär. Nachdem ich das Abitur geschafft hatte, habe ich die ganze Prozedur zur Aufnahme in die NDA, die nigerianische Militäruniversität, gemacht. Drei Tage vor der Aufnahme war wieder ein Putsch. Da habe ich zu meinem Vater gesagt: Gott sei Dank, dass ich noch nicht angefangen habe. Das reicht mir. Ich gehe weg.
Der Blick aus dem Exil
Nach 23 Jahren in Deutschland habe ich gesehen, wie Demokratie sein soll und das ist nicht gerade dasselbe wie das, was man in Nigeria praktiziert. Wir haben zwar keine Diktatur mehr, aber die Demokratie ist leider nicht so, wie es sein soll. Es geht da eher um Korruption, Geldverteilung der Politiker untereinander. Das Land ist eigentlich reich. Sie fördern täglich Erdöl, verkaufen es für Millionen von Dollar, aber bis heute sieht man noch Elend in der Stadt. Sie können den Reichtum nicht so verteilen, dass es eine Mittelschicht gibt. Bei uns gibt es keine Mittelschicht. Es gibt entweder extrem arm oder extrem reich und das darf nicht sein.
Das Land ist so korrupt, dass man es anfassen kann. Man kann einen ganzen Staat in Nigeria klauen und es passiert einem nichts. Hier macht ein Politiker eine falsche Aussage und muss seinen Stuhl räumen. Das ist für uns Nigerianer oft komisch, da lachen wir manchmal.
Wir Exilanten sehen, was falsch läuft in dem Land. Wir möchten was ändern, können aber nicht viel beitragen aus dem Ausland. Die Leute aus den Armenvierteln haben nichts anderes erlebt als das Elend. Sie können von innen nicht sehen, dass es eigentlich anders sein sollte.
Vom Dorf nach Weingarten
Ich habe mit meiner Exfrau und meiner Tochter in Buchheim gelebt. Da kennt jeder jeden. Es ist ein friedliches kleines Dorf. Wenn es ein Dorffest gab, war ich immer der Schwarze da und jeder guckt. Manchmal, wenn die Leute freundlich sind, fragen sie: „Woher kommst du?“ Die sind nett, ich habe gute Erfahrungen gemacht. Es war schön damals.
Nach der Trennung von meiner Exfrau musste ich mir eine andere Wohnung suchen. Ich habe eine Anzeige in der Zypresse aufgegeben: „Wer hilft einem Afrikaner in Not? Suche 1-Zimmer-Wohnung.“ Darauf hin hat mich eine Frau angerufen, dass sie eine Wohnung in Weingarten zu vermieten hätte. Sie hat mir die Wohnung direkt gegeben.
Die Idee kam einfach so! Ich war wirklich in Wohnungsnot. Zum Ende des Monats musste ich ausziehen. Da musste ich mir was einfallen lassen und diese Idee hat einfach super geklappt.
Weingarten war für mich ein Stadtteil wie jeder andere in Freiburg. Aber irgendwann hat mich jemand gefragt, wo ich wohne.
„In Weingarten, Sulzburger Straße“.
„Sulzburger Straße? In den Hochhäusern?“
„Ja...“
„Hm, das ist ja keine gute Gegend.“
„Was ist in Weingarten? Mir passiert da nichts, mir gefällt Weingarten.“
„Die ganzen Hochhäuser, Ausländer... „
Dann haben sie einen Begriff benutzt, von dem ich nicht weiß, ob man den so benutzen darf. Wenn du einen Schwarzen beleidigen willst, sagst du Nigger. Und sie haben Zigeuner gesagt –ich weiß nicht, ob das jetzt eine Beleidigung ist. Jedenfalls habe ich gesagt:
„Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht mit irgendwelchen Leuten. Ich bin selber Ausländer, ich wohne gern in Weingarten.“
Das ist wirklich so. Im Vergleich zu Buchheim ist Weingarten viel größer, städtischer mit den Hochhäusern und vielen Ausländern. Ich fühle mich anders hier. Ich bin ein Teil von diesem Ganzen hier in Weingarten. Hier bin ich nie der einzige Schwarze – nach 100 Meter triffst du jemand anderen.
Hier im Viertel bin ich gern am Dietenbachsee. Ich wohne nicht weit von da, es ist ein kleiner, schöner, sauberer See, in dem man gut baden kann. Am Wochenende, wenn es nicht regnet, geh ich da joggen. Ansonsten schau ich auch gern die Fußball-Campions-Leage im Wettbüro. Das ist immer voll mit Männern, die gern Fußball schauen. Für viele ist es ein Treffpunkt. Es ist ein türkischer Laden, ich habe auch türkische Kumpels da, aber auch Afrikaner und andere – einfach Männer, die gerne Fußball schauen.
Am Dietenbachsee
Nigerianische Community
Es leben mittlerweile viele Nigerianer in Freiburg und Umgebung. Damit man sich nicht so einsam fühlt in Deutschland, haben wir einen Verein gegründet, wo wir uns einmal im Monat im Mehrgenerationenhaus EBW treffen. Es ist nichts Politisches. Es geht einfach darum, dass wir uns sehen und unsere Probleme besprechen können, dass sich keiner hier einzeln oder ausgeschlossen fühlt. Wir diskutieren zwar auch, was gerade in Nigeria passiert, aber um das geht es nicht.
Insgesamt bleiben die Leute in Weingarten eher unter sich. Natürlich kenne ich nach all den Jahren den ein oder anderen Türken oder andere Leute. Man sagt auch „Hallo“, aber mehr als das haben wir kaum miteinander zu tun. Ich würde sagen, es ist gut so, weil es bis jetzt friedlich miteinander funktioniert hat.
Zwischen Deutschland und Nigeria
Ich fühle mich nirgends richtig zuhause – weder in Nigeria noch in Deutschland. Ich habe das Gefühl, mittendrin zu stehen. Deutschland ist meine Wahlheimat, in Nigeria bin ich geboren. Wenn ich nach Nigeria reise, bin ich gern da. Ich freue mich, die Leute zu treffen, aber ich möchte nicht ein Jahr am Stück da bleiben. Für einen Monat oder zwei ist es schön, aber dann beginnt man sich über all das, was nicht funktioniert, zu ärgern. Hier gibt es keinen Stromausfall. Bei uns ist Stromausfall so natürlich, wie über die Straße zu gehen und Brötchen zu kaufen. Nach so vielen Jahren in Deutschland, kannst du das nicht mehr ertragen. Für die Leute, die dort leben, ist es normal, für dich ist es nicht mehr normal.
Aber wenn ich hier her zurückkomme im Winter, frage ich mich: Was machst du hier? Denn obwohl ich schon so viele Jahre hier lebe, kann ich mich nicht an den Winter gewöhnen!
Woran ich mich auch nicht gewöhnen kann, ist die Art, wie die Leute hier miteinander umgehen. Das ist anders bei uns, wir sind offener, schließen schneller Freundschaften, wir haben einfach eine lockere Art mit Menschen umzugehen. Ich lebe seit zehn Jahren in diesem Haus und ich kenne gerade mal das ältere Ehepaar nebenan. Die habe ich angesprochen, als ich mich mal ausgeschlossen hatte. Das ist schließlich sehr teuer und da kam die Idee, einen Schlüssel bei den Nachbarn zu lassen. So habe ich die kennengelernt, aber sonst habe ich keinen Kontakt zu irgendwelchen Mitbewohnern.
In Nigeria kennst du alle Leute in deiner Straße und die kennen dich. Du brauchst keine Einladung, bevor du zu einem Nachbarn gehst, wo Musik spielt. Du weißt: da ist Party. Du gehst rein, isst was, trinkst was... Er hat dich nicht eingeladen, aber er wird dir sogar einen Vorwurf machen, wenn du nicht bei ihm vorbei gekommen bist. So etwas gibt’s hier nicht. Die Leute sind unter sich, jeder macht sein Ding.
Ansonsten habe ich mich mit der Zeit den Gewohnheiten hier angepasst. Es sind oft Kleinigkeiten, wie dass man vor der Straßenbahn wartet bis die Leute ausgestiegen sind bevor man einsteigt – locker! Stell dir mal bei uns den Bus vor! Niemand wartet – wenn du Kraft hast, schiebst du dich vor.
Zukunft kann man sich nicht vorstellen.Ich habe es nicht geplant, aber ich lebe jetzt seit 23 Jahren in Deutschland, habe geheiratet, habe Kinder bekommen, bin geschieden worden – solche Sachen kann man nicht planen, es ist einfach passiert.
Das Interview führte Anna Trautwein am 03.05.12
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