Audioguide Weingarten

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notenIn einen Stadtteil, wo Menschen sind
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notenMit vielen Menschen in einem Haus
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notenWer keinen Job hat, muss auch Miete zahlen
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notenFamilie und politisches Projekt:
Das Stadtteilbüro

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Textfassung der Audiodateien

„Die Menschen sollten wissen,
dass sie auch ein Recht haben! “

Maria Wolf

… wurde 1935 in Rumänien geboren. 1971 bezog sie den 1. Stock der Krozinger Straße 52, später stieg sie bis zur 15. Etage auf. Sie arbeitete in verschiedenen Läden im Einkaufszentrum, war aktive Mitbegründerin des Stadtteilbüros Weingarten 2000 und lebt heute in der  Seniorenwohnanlage der AWO. Im Interview erzählt sie über das Zusammenleben in einem großen Hochhaus und warum Weingarten einen Ort braucht, um seine Wünsche gegenüber der Politik zu artikulieren.

Mein Mann und ich sind 1966 aus Bonn mit unseren vier Kindern nach Freiburg gezogen. Erst haben wir im Norden von Freiburg gewohnt, weil mein Mann da gearbeitet hat und dann wurden diese Häuser von der Siedlungsgesellschaft gebaut. Dahinten war es ein bisschen einsam und deshalb haben wir beschlossen, hier hin zu ziehen, wo mehr Menschen wohnen. Unsere Kinder waren auch sehr glücklich, weil für Kinder ist es nicht gut so abgelegen. So hatten wir die Adolf-Reichwein-Schule um die Ecke und die größere Tochter ist in die Vigelius-Schule gegangen. Das war 1971, als die Häuser hier bezogen wurden. Wir waren Erstbezieher vom Haus 52 in der Krozinger Straße.

Wir waren zufrieden und die Kinder auch. Allerdings – weil Weingarten diesen schlechten Ruf hat, ist es für die Kinder schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das ist heute noch so: wenn es heißt Weingarten, dann wird man erst abgelehnt.

Ich habe mir die erste Zeit Sorgen gemacht. Aber dann hat mein Sohn bei der Sparkasse gelernt und war sehr zufrieden. Einer meiner Söhne hat in Haslach Bäcker gelernt und die Tochter hat dann Hauswirtschaft gelernt. Also sie sind alle gut durchgekommen. Aber zu dieser Zeit, das ist ja schon über 30 Jahre her, waren die Möglichkeiten auch besser.

Leute ohne Job müssen auch ihre Miete bezahlen

Alle denken, Weingarten hat billige Mieten, aber das stimmt nicht. Für Bewohner, die wenig Geld haben, sind die Mieten sehr hoch. Die anderen Stadtteile denken: Die haben so billige Mieten und die leben von unseren Steuern! Aber hier hat jeder zu machen und zu krabbeln. Sehr viele Leute können die Mieten nicht aufbringen, dann müssen sie Zuschüsse beantragen.
Es gibt viele Menschen hier, die gehen arbeiten, die haben einen Arbeitsplatz, aber viele haben auch keinen Job und da kommt es schon manchmal zu Auseinandersetzungen. Aber die, die keinen Arbeitsplatz haben, können ja auch nichts dafür! Vielleicht haben sie eine schlechte Ausbildung oder die Betriebe haben keine Arbeit oder sie wollen sie nicht, aber diese Menschen müssen auch ihre Miete bezahlen. Da kann man nicht sagen: Der geht nicht arbeiten! Das geht nicht!

Was man aus anderen Städten hört, dass die Leute Autos anzünden, das gibt es hier im Stadtteil nicht. Aber verstehen tue ich das, wenn jemand aus lauter Verzweiflung irgendwas anstellt, was nicht so bürgerlich ist.

Viele Menschen in einem Haus

In anderen Stadtteilen streiten sie sich über den Gartenzaun oder über die Hecke zwischen den Gärten, aber wir sind hier Wohnung an Wohnung und es ist noch nie zu größeren Feindseligkeiten gekommen. Noch nie! Nur zu Unzufriedenheiten. Da leben so viele Nationen! Die einen kochen das und die anderen jenes und die Gerüche ziehen durchs Haus und das ist auch nicht immer gut bürgerlich.

Das wichtigste ist: Wenn man zur Tür rausgeht und es kommt der Nachbar, sagt man sich Guten Tag. Klingel Krotzinger 52Damit fängt das Zusammenleben an. Der andere grüßt dann zurück und das nächste Mal wünscht man sich einen schönen Tag oder redet ein bisschen übers Wetter. Und so entwickelt sich das.

Wir haben immer zur Verwaltung von der Stadtbau und zur Politik gesagt: Ihr müsst euch das mal vorstellen, es wohnen 450 Leute in einem Haus! Das war immer mein Thema, von Anfang an. Denn wenn ich ein Papier hinschmeiße, dann sagt der andere, dann kann ich auch ein Papier hinschmeißen. Jeder hat die gleichen Rechte und was der macht, das kann ich ja schon lange. Aber es hat sich gebessert hier in unsere Ecke. Und das gibt’s ja überall. Mitten in der Stadt sind ja die Menschen auch so.

Der Fluch der Briefträgerin

Später sind viele Ausländer gekommen. Ausländer ist kein schönes Wort, eben Menschen aus anderen Ländern und in der ersten Zeit war das schwierig. Wir haben Menschen aus 40 Nationen und die verschiedenen Länder haben mit den Nachbarländern oft keine gute Beziehung. Wenn die Leute hier her kommen, müssen Sie plötzlich mit denen in einem Hochhaus wohnen. Das ist sehr schwierig. Aber dann merken die Menschen: „So schlimm ist der ja gar nicht.“ Und das finde ich an unserem Stadtteil so gut:  dass wir eben auch Völkerverständigung betreiben ohne große Politik.
Das Wichtigste ist, dass die Menschen hier ihren Stadtteil annehmen und mit den verschiedenen Nationen hier leben und arbeiten.

Kommunikationsort:Aufzug

In so einem großen Haus gibt es einen Aufzug, weil man nicht 22 Stockwerke hoch und runter laufen kann. Wenn man in den Aufzug kommt, ist vielleicht schon jemand drin, den Sie auf dem Kieker haben oder der Ihnen nicht gefällt oder der anders riecht. Der eine riecht so und der andere so, aber Sie müssen mit einem Aufzug fahren, egal wie! Und dann gibt’s viele, die schimpfen, aber man muss damit zurecht kommen. Das ist das Wesentliche in einem Hochhaus.

Der Herr Rausch – der hat nur zwei Jahre als Student bei uns gewohnt –  hat damals angefangen, im Aufzug über alles zu sprechen: „Guten Tag, wie geht’s?“ oder „Was haben sie hier zu beanstanden?“ Das kann man alles im Aufzug besprechen. Der eine sagt gut und der andere schimpft. Aber auch die, die schimpfen, die schimpfen drei Mal, aber dann sagen sie doch was Nettes zu ihren Nachbarn.

Aufzug
Der Aufzug in der Krozinger 52

Das Stadtteilbüro

Das Stadtteilbüro ist im September 1989 gegründet worden. Der damalige Oberbürgermeister wollte etwas außerhalb ein Kultur- und Vergnügungszentrum bauen. Da haben Prof. Rausch und wir, die Bewohner, die sich engagiert haben, zusammen gesagt: Nein, wir wollen stattdessen lieber hier im EKZ einen Treffpunkt, wo die Menschen das alles, was sie bewegt, besprechen können – was in den Häusern passiert, die Auseinandersetzungen mit den Nachbarn usw.. Es war ein schwerer Kampf, aber es wurde am Ende genehmigt. Zwei Stadträte von der SPD haben sich sehr für uns eingesetzt.
Als das Stadtteilbüro eröffnet wurde, sind nicht gleich alle Menschen rein gestürmt, aber allmählich hat sich das als Treffpunkt für die Bewohner entwickelt. Jeder wusste: Da kann ich hingehen, wenn ich irgendwelche Probleme habe. Denn als normaler Bewohner weißt du ja nicht, an welche Stelle du dich wenden kannst, aber die Sozialarbeiter können den Menschen sagen: Das ist dein Recht und da kannst du dich hinwenden. Und das war das, worum es uns ging: Die Menschen sollten wissen, dass sie auch ein Recht haben! Dass sie nicht nur hier wohnen und immer machen müssen, was der Großvermieter will, sondern ihre Wünsche äußern können.

Als das Stadtteilbüro gegründet wurde, sind schon viele gekommen und haben gesagt: Deutsche Rechte vertreten! Aber wir haben von Anfang an klar gestellt, dass wir für alle da sind. Wenn einer kommt und seine Beschwerden vorbringt, müssen wir immer sagen: wir sind nicht nur für einen da, wir sind für alle da im Stadtteil! Und die meisten kapieren das auch.

Stadtteilbüro

In einem Haus leben 400 Menschen, jedes Haus hat seine Vertreter geschickt oder die Leute haben sich mit den anderen aus ihrem Haus im Stadtteilbüro getroffen, denn in jedem Haus gab es andere Probleme.

Es gibt Begegnungsstätten auch hier in Weingarten, die viele kulturelle Sachen anbieten und auch Begegnungen. Aber ganz zuerst war das Stadtteilbüro mehr politisch gemeint.
Es ging uns auch darum, der Politik mal klar zu machen: wir sind Bewohner und wir haben was mitzureden und wir möchten, dass unsere Wünsche in der Politik gehört werden. Wir hatten viele Versammlungen über das Zusammenleben, aber Zusammenleben in einem solchen Stadtteil geht nur über Politik!
Es ist Aufgabe der Politik den anderen Stadtteilen zu sagen: Das sind auch Menschen und Bewohner von Freiburg und sie haben ein Recht ihre Meinung zu sagen. Und den Bewohnern hier in Weingarten, auch wenn sie HartzIV-Empfänger oder Ausländer sind, zu vermitteln: ihr seid auch Menschen und ihr verdient Anerkennung!

Ich wohne ja hier nah am Einkaufszentrum und das Stadtteilbüro ist für mich wie Familie. Ich geh morgens ins Stadtteilbüro, frage, was los ist, was tut sich im Stadtteil? Oder es sind schon Menschen drin, mit denen man sich trifft. Es ist einfach ein Treffpunkt, also für mich.
Am Anfang war es schwierig. Sie können da nicht einen Raum hinstellen und sagen, Leute jetzt sprecht, das muss sich alles entwickeln. Manche kommen nur rein und wollen einen gelben Sack holen und sind schon mittendrin. Das klingt vielleicht lächerlich, aber sie kommen rein als Mensch und werden auch als Mensch behandelt.

Das Interview führte Anna Trautwein am 12.03.12

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