Audioguide Weingarten

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Ismael Reinhardt

 

 

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Musik

notenWie Weingarten klingt
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notenMit der Musik aufwachsen
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notenDie Gipsy-Musikschule
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notenWas ist Gipsymusik?
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Der Auggener Weg

notenAls die Siedlung gebaut wurde
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notenEine unsichtbare Grenze
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notenEin sicherer Ort
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notenWas man dort entdecken könnte
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notenMein Großvater war in Auschwitz
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Textfassung der Audiodateien

„Es ist wirklich, als wenn eine Grenze
da vorne an der Hauptstraße wäre“

Ismael Reinhardt

… wuchs in den 70er und 80er Jahren im Auggener Weg in Weingarten auf, wo er auch heute mit seiner Frau und Tochter lebt. Er startete noch als Kind seine Musikerkarriere als Gitarrist, Geiger und Sänger. Vor einigen Jahren gründete er außerdem in Weingarten eine Gypsi-Musikschule. Im Interview erzählt er von der Scheu vieler Menschen, mit Leuten aus dem Auggener Weg in Kontakt zu kommen und seinen Bemühungen durch die Musik Brücken zu bauen.

Wenn ich Weingarten mit einem Musikstück beschreiben würde, würde ich eher eine liebliche Musik wählen. Weingarten ist ein toleranter Stadtteil, vielleicht auch dadurch, dass wir auch viele ausländische Bürger haben. Ich denke, dass es lieblich klingen würde, vielleicht etwas spannend, aber nicht rau. In der Musik gibt es ja Moll und Dur-Tonarten. Die Moll-Tonarten sind eher etwas traurig und ernster und ich glaube, dass ich für Weingarten ein Stück in Dur komponieren würde – das klingt dann einfach mehr nach Sonnenschein, lieblicher und fröhlicher.

Mit Musik aufwachsen

In jedem Haushalt, wo Sinti leben, wachsen die Kinder mit Musik auf. Das ist vielleicht woanders nicht so. Die Musik ist schon mit in die Wiege gelegt und dadurch hat man ein gutes Musikverständnis. Selbst jemand, der keine Musikschule besucht oder keine Noten lesen kann, lernt leicht ein Instrument zu spielen, wenn er sich damit beschäftigt und es überall zu integrieren, wo er spielen müsste – ob es in einer großen Besetzung wäre oder in einer kleinen.

Auch ich durfte mit der Musik aufwachsen. Mein Vater ist schon immer Musiker gewesen. Dann waren immer Musiker bei uns zu Besuch – Didi Winterstein, ein Cousin meiner Mutter, Schnuckenak Reinhardt und viele andere Verwandte. Bei uns waren auch immer Instrumente zu Hause. Da mein Vater Musiker war, war immer ein Klavier da, eine Gitarre oder Geige, und als Kind schaut man sich das an, hört, ist neugierig und probiert sich selbst aus. So bin ich selbst und auch mein Bruder Musiker geworden.

Kind Ismael Reinhardt als Kind

Ich mache überwiegend Jazzmusik, aber auch Popmusik. Vor kurzem ist erst meine letzte CD im Handel erschienen: Sunshine of my live – richtiger Swing Jazz aus den50er/60er Jahren à la Sinatra-Stil. Gipsymusik ist für mich eine Art, wie ich die Musik interpretiere. Also ich könnte ein Popstück nehmen und die Musik Gipsymäßig interpretieren, dann klingt sie ganz anders.

Die Gipsy-Musikschule

Vor einigen Jahren haben wir immer wieder Gespräche mit Freunden, Verwandten und auch Bekannten vom Nachbarschaftswerk hier in Weingarten geführt und sind dabei zu dem Schluss gekommen, etwas machen zu müssen. Wenn man sich so umschaut, sieht man nur noch selten, dass die Eltern ihren Kindern ein Instrument schenken. Die Kinder rennen nur noch mit  Handies und Smartphones rum, sitzen den ganzen Tag vor dem PC oder machen andere verrückte Sachen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Musikschule in Weingarten keinen Zweig hat. Es gibt in jedem Stadtteil eine Niederlassung, nur in Weingarten komischerweise nicht, traurigerweise. Da fand ich schon, dass man es ein bisschen vernachlässigt hat, sich in dieser Hinsicht um die Kinder in Weingarten zu kümmern. Da haben wir beschlossen, daran etwas zu ändern. Die Idee war, eine Gipsy-Musikschule zu gründen. Das gibt es sonst noch nicht. Es gibt Musikschulen, in denen man andere tolle Dinge lernt, aber keine Gipsy-Musikschule, in der man die Musik so lernt, wie es bei uns Tradition hat: mehr nach Gehör, weniger nach Blatt und Noten. Die Schule kam sehr gut an bei der Bevölkerung, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen.

Tonstudio
Ismale Reinhardt im Tonstudio

Am Anfang kamen die meisten Leute aus Weingarten, vor allem Kinder, es war ja am Anfang auch nur für Kinder gedacht. Die Wenigsten hatten vorher schon Bezug zur Musik. Natürlich hat man auch mal einen Schüler, dessen Eltern schon Musik machen. Aber die meisten Kinder hatten vorher nichts mit Musik am Hut, die entdecken es dann erst. Und da es ja mehr Deutsche als Sinti gibt, ist es schon so, dass mehr die deutsche Bevölkerung kommt.
Mittlerweile habe ich sogar Schüler von weiter weg. Letztens hatte ich eine Anmeldung von einem Engländer, der jetzt hier her gezogen ist und die Musikschule besucht. Ich habe auch Schüler, die aus dem Norden kommen, aus Hamburg. Die halten sich dann immer eine Weile hier auf und besuchen die Musikschule. Also es hat sich so entwickelt, dass wir eigentlich Schüler von überall haben.

Die Schüler lernen im Einzelunterricht. Ich bin niemand, der nur was machen will, damit er was macht. Wenn ich was mache, will ich auch ein Resultat sehen und bei einem Einzelunterricht bringt das viel mehr. Die Kinder nehmen besser auf, sie sind nicht abgelenkt, keiner stört sie und wenn man das dann schön spielerisch macht, sieht man schon nach einigen Monaten sehr große Fortschritte. Mein Bruder und ich machen das zu zweit. Wir unterrichten Gesang, Klavier, Gitarre und Geige.

Die Entstehung der Siedlung

Diese Häuser hier in der Siedlung stehen schon gute 30 Jahre. Man hat erst die Häuser beim Sportplatz gebaut und sich so langsam hier vorgebaut. Ich war damals etwa fünf Jahre alt.
Die Häuser, die hier vorher standen, das waren auch solche Blöcke. Da haben unten und oben Leute drin gewohnt. Sie waren nicht so gut und schön gebaut wie heute, da hat man auch nicht so schöne Bäder gehabt. Museumsbau – das war wirklich uralt. Als die neuen Häuser gebaut wurden, war eine freudige Stimmung. Plötzlich waren die alten Häuser weg, abgerissen und man hat sich auf das Neue gefreut. Ich glaube, die meisten Leute sind zufrieden, wie es ist.

Auggener Weg_Putte
Vorgarten im Auggener Weg

Platz oder Straße?

Wenn ein Außenstehender, der in der Stadt lebt, den Auggener Weg „Platz“ nennt, dann hört sich das für mich diskriminierend und Ghettomäßig an. Denn es ist schließlich eine Straße, wie jede andere auch. Wir sind Sinti, aber wir sind sicher länger in Deutschland oder „mehr deutsch“ als die meisten anderen deutschen Bürger, die hier leben. Denn wir sind ja hunderte Jahre in Deutschland. Wir kennen es nicht anders. Wenn Leute, die sich deutsch nennen und erst in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, sich deutscher sehen als wir, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

Wir leben nicht anders als andere. Wir wohnen hier in unseren Wohnungen in unserem Auggener Weg. Daher ist das schon eigenartig.Und man fragt sich: wann hört denn so was auf oder hört es überhaupt auf? Keine Ahnung.

Eine unsichtbare Grenze...

Die Leute haben ja Vorstellungen, man müsste keine Steuern zahlen, jeder Zigeuner ist ein Dieb, jeder Sinto ist ein Gauner... Deshalb sagt man ja auch „Zigeuner“, das kommt vom Altdeutschen. Solche negativen Vorurteile hört man immer wieder. Nichts entspricht der Wahrheit, nicht mal der Name. Wir sind Sinti und keine Zigeuner, jeder Sinto muss arbeiten, er muss Steuern zahlen, er lebt wie jeder andere deutsche Bürger auch. Was ist da anders? Vielleicht die Hautfarbe.

Was vielleicht noch anders ist, ist, dass man familiär zusammenhält. Das sind aber eigentlich positive Eigenschaften, die man woanders wenig sieht. Wir achten auf unsere Kinder, wir wollen ihnen nur das beste, wir sind sehr gastfrei. Aber das wissen nur Leute, die sich mit uns abgeben oder mit uns beschäftigen, die mal in den Auggener Weg reinkommen oder vielleicht sogar mal eine Gipsy-Musikschule besuchen. Musik ist immer die beste Grundlage Brücken zu bauen, deswegen machen wir auch immer wieder Veranstaltungen im Haus Weingarten und laden die Bevölkerung ein. Die, die da kommen und sich mal ein Bild machen gehen oft anders weg als sie gekommen sind. Die erleben, dass wir gar nicht so sind, wie man sagt und wie man hört. Diese Leute kommen dann auch wieder in den Auggener Weg, wenn eine Veranstaltung ist oder besuchen die Musikschule.

Denn sonst sehe ich selten Leute hier durch spazieren. Man sieht die Siedlung, ganz Weingarten ja falsch und es ist wirklich, als wenn eine Grenze da vorne an der Hauptstraße wäre. Die Leute haben schon Ängste, komischerweise. Warum, verstehe ich nicht. Es sieht ja alles genauso aus, wie irgendwo anders auch.

Wenn man abends hier durch läuft, sieht man vielleicht Leute auf den Bänken sitzen und musizieren. Sie sehen vielleicht ein Lagerfeuer, an dem was gebraten wird und zu dem Sie sich hin gesellen können und sich unterhalten. Ich bin überzeugt, jeder, der hier reinschnuppert im Auggener Weg, wird hier Freude haben und Freunde finden, wenn er ein aufgeschlossener Mensch ist. Er würde nicht unbedingt etwas anderes sehen als woanders, aber hier lernt er nette Menschen kennen – man sollte es einfach mal probieren.

Auggern Weg_ Boul
Männer beim Boul spielen im Auggener Weg

… um einen sicheren Ort

In jeder Stadt gibt es heutzutage eine Siedlung, wo Sintis zusammenleben. Man will eigentlich als Sinto auch gar nicht anders leben. Ich kann meine Haustür 24 Stunden am Tag auf lassen. Auch nachts, wenn ich mich hinlege, hätte ich keine Bedenken, dass jemand hier rein spaziert und mich aus dem Bett klaut. Das gibt es bei uns nicht.

Es sind sehr viele Familien miteinander verwandt oder, wenn nicht verwandt, ist es wie verwandt, weil man schon immer zusammen lebt. Schon die Eltern und Großeltern haben sich gekannt oder zum Teil zusammen gelebt. Das ist eigentlich wie eine große Familie. Man kennt sich gegenseitig, man hilft sich und achtet gegenseitig auf die Kinder. Wenn ich krank wäre, könnte es nicht passieren, dass niemand da wäre. Also nicht nur mit Rat, sondern auch mit Tat hilft man sich gegenseitig, in jeder Beziehung.

Man fühlt sich einfach wohler, geborgener und sicherer, so zu leben. Und wenn man ein bisschen in die Vergangenheit zurückblickt, müsste man das auch verstehen.

Mein Großvater war in Auschwitz

Der ist wie durch ein Wunder wieder zurückgekommen. Das  ist eigentlich unvorstellbar, weil da kam eigentlich keiner mehr zurück. Das war die Familie Spindler, da hat man vor ein paar Jahren ein Denkmal errichtet in Herbolzheim. Die sind von Herbolzheim weggekommen. Mein anderer Großvater war in mehreren KZs, hat auch einen Sohn verloren, ein Onkel von mir ist im KZ geblieben. Das sind alles Dinge, die prägen einen Menschen und das kriegt man auch nicht mehr so schnell raus. Auch wenn man Enkel ist, irgendwo ist das drin und man hat so ein Auschwitz-Syndrom, so nenne ich das. Das prägt einen Menschen schon, und das braucht seine Zeit – Jahre oder Generationen – um so was wieder rauszubekommen. Wenn man bedenkt, wie viele Millionen Menschen da drauf gegangen sind, ermordet worden sind, auseinandergerissen worden sind – das ist nicht so einfach, da sollte man doch mit so einem Volk etwas toleranter umgehen.

Aber heutzutage hört man dann meistens: „Da können wir nichts dazu, hören Sie mal jetzt auf mit der Vergangenheit!“ Klar, Sie können nichts mehr dazu, was früher passiert ist, aber man sollte die Vergangenheit auch nicht totschweigen und nicht darüber reden. Es war so und es ist einfach so. Wenn ich heute ein Gespräch führe und ich erwähne das nur am Rande, wird das in 85% der Fällen abgetan.

Das Interview führte Anna Trautwein am 29.06.12

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